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Integrale Bildung




"Bildung ist die mächtigste Waffe, die man einsetzen kann, um die Welt zu verändern.“


Nelson Mandela





Diese zum Denken anregende Stichwortsammlung von Heinrich Dauber, die er 2005 verfasst hat, ist mir per Zufall über den Weg bzw. den Bildschirm gelaufen. Meine besondere Aufmerksamkeit bekam der Text durch die Nennung Claudio Naranjos und A.H. Almaas, zwei anerkannte Enneagrammlehrer. Heinrich Dauber war von 1978 bis 2009 Professor für Erziehungswissenschaften mit den Schwerpunkten Erziehungs- und Schultheorie an der Universität Kassel. Es freut mich immer in der Tiefe meiner Seele, wenn die Ideen dieser Lehre in Verbindung mit Erziehung und Bildung gebracht werden.

Die von ihm angedachten Aspekte und Maßnahmen einer integralen Bildung konnten sich offensichtlich in den vergangenen 18 Jahren nur vereinzelt und in kleinen Bereichen entwickeln. Ansonsten wäre der heutige öffentliche Diskurs nicht der, der er ist.

So mein persönlicher Eindruck.


Ich habe mir erlaubt diese Frage, die im Originaltext ganz ans Ende gestellt ist, vorzuziehen:


Welche dieser Themen und Fragestellungen können in welcher Mischung und Form an künftige Sozialwissenschaftler, Pädagogen und Psychologen vermittelt werden?



1. Die Zeit scheint reif, nicht nur neue Formen interdisziplinärer, sondern transdisziplinärer Forschung voranzutreiben, in denen individuelle und kollektive, subjektive und objektive Perspektiven und Methoden sich wechselseitig ergänzen (Ken Wilber).


Wie dringend notwendig solche Verschränkungen sind, lässt sich zeigen an der Thematik ‚psycho-soziale Gesundheit’ (Jon Kabat-Zinn, Wilfried Belschner, Joachim Galuska u.a.), am Zustand unseres Bildungssystems (Reinhard Fuhr, Peter Bauer u.a.), aber auch an den globalen ökologischen und sozialen Herausforderungen, denen sich die nächste Generation gegenüber sieht (Jared Diamond, Wolfgang Sachs u.a.).


2. Die Zeit scheint reif nicht nur zur Erforschung translativer Prozesse der Veränderung von Individuen und Gesellschaften, sondern auch zur Erforschung der transformierenden Prinzipien, die solchen Veränderungen zugrunde liegen und sie fördern.


Spätestens seit den 90er Jahren und dem Einsetzen einer breiten Diskussion zwischen prominenten Vertretern der Traditionen des Ostens (Buddhismus, Hinduismus, Tao) und westlichen Wissenschaftlern (z.B. Daniel Goleman im Gespräch mit dem Dalai Lama), sind spirituelle Fragen i.w.S. in westlichen Gesellschaften in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses geraten, die von der etablierten Wissenschaft jedoch nach wie vor weithin, z.T. zu Recht, als ‚esoterischer’ Unfug abgelehnt werden.


3. Viele Zeichen der Zeit deuten darauf hin, dass eine zweite Renaissance angebrochen ist, diesmal vorangetrieben nicht durch Kunst und Naturwissenschaft, sondern durch die Sozialwissenschaften, wobei der Psychologie und der Pädagogik besondere Aufgaben, insbesondere in der Erforschung von Dimensionen und Ebenen personalen und transpersonalen Lernens zufallen, die im mainstream dieser Wissenschaften noch nicht allgemein als Forschungsfelder anerkannt sind.


Neben einer breiten Diskussion um Konzepte des Selbst in Jungianischer Tiefenpsychologie (Gustav H. Graber), Psychoanalyse und Gestalttherapie (Lotte Hartmann-Kottek) in psychotherapeutischen Kontexten kommt es zunehmend häufiger auf großen internationalen Kongressen zu Begegnungen zwischen Vertretern philosophischer, religiöser und spiritueller Traditionen mit Neurobiologen, Soziologen und Vertretern der Wirtschaft (Rütte Forum Todtmoos, Akademie Heiligenfeld Bad Kissingen, Universität Herdecke Witten, Universität Frankfurt u.v.a.m.), auf denen nicht mehr wie in den 70er Jahren Fragen alternativer Wirtschaftssysteme (Achberg, Guttweiler Institut Zürich) im Mittelpunkt stehen, sondern nach individuell wie gesellschaftlich gangbaren Wegen gesucht wird, ‚innere’ Blockaden wie Egozentrismus, Machtbesessenheit, Neid und andere negative Emotionen zu identifizieren und aufzulösen. Die wissenschaftliche Psychologie wie die Erziehungswissenschaft sind derzeit in Teildisziplinen zersplittert, dies es schwer machen, derartige Querthemen angemessen zu bearbeiten. Eine zentrale Frage lautet, wie sich Selbstverwirklichung als zentrales westliches Motiv und spirituelle Befreiung als zentrales östliches Motiv in psychotherapeutischer und pädagogischer Praxis miteinander verbinden lassen (A.H. Almaas u.v.a.).


4. Die Zeit ist reif, traditionell disziplinär bestimmte Grenzen und Abgrenzungen zwischen politischen, pädagogischen, therapeutischen und spirituellen Wegen zu überwinden und Kriterien zur Erforschung von Prozessen anstelle der Definition inhaltlich bestimmter Wissensbereiche zu finden.


Trotz exponentiell anwachsenden Wissens in der sog. Informationsgesellschaft breitet sich eine große Ratlosigkeit aus, wie den komplexen und sich beschleunigenden ökonomischen, sozialen und gesellschaftlichen Problemen einer Weltgesellschaft zu begegnen sei, wo die gemeinsamen diesen Prozessen zugrunde liegenden und sie verbindenden Muster liegen (Gregory Bateson). Die Frage: Was müssen wir tun? Muss ergänzt werden um die Frage: Wie müssen wir denken? (Bernhard von Mutius im Anschluss an Joseph Beuys).


5. Viele Zeichen der Zeit deuten darauf hin, dass im Fokus dieser geistigen Bewegung weniger die Erforschung weiterer Formen der Beherrschung der Natur als vielmehr die Erforschung des menschlichen Bewusstseins und seiner individuellen und kollektiven Potenziale stehen. Eine wesentliche Frage lautet, ob es angesichts der unserer Generation (in der Geschichte der Menschheit in einmaliger Weise) zur Verfügung stehenden Erkenntnisse aus verschiedenen Wissenschaften und kulturellen Traditionen gelingt, diese miteinander ins Gespräch zu bringen und in einer integrativen Vision zu vereinen.


Bei diesem Vorhaben kann auf die Arbeiten von Rudolf Steiner, Jean Gebser, Shri Aurobindo, Jiddu Krishnamurti, Erich Fromm, Teilhard de Chardin, Karlfried Graf Dürkheim, Michael Murphy u.v.a. zurückgegriffen werden. Als wichtigster zeitgenössischer Autor ist hier vermutlich Ken Wilber zu nennen.


6. Die Zeit ist reif, überkommene und überholte patriarchale Modelle und Strukturen mental-rationalistischer Kontrolle um -zivilisatorisch weithin verdrängte und abgespaltene- Formen emotionaler und intuitiver Erkenntnis zu ergänzen.


Wenig untersucht ist beispielsweise die wichtige Frage, in welchen entwicklungspsychologischen Phasen und Stufen ontogenetischer Entwicklung und welchen kulturellen und sozialen Kontexten sich welche grundlegenden Ich-Strukturen ausbilden und was um den Preis dieser Entwicklung jeweils abgespalten wird (Claudio Naranjo, Joseph Chilton Peirce u.a.); aber auch, welche Qualitäten psychische und soziale Umwelten haben müssen, um grundlegende soziale und emphatische Fähigkeiten heranzubilden (Peter Fonagy).


7. Die Zeit drängt, da die Kluft zwischen technischen Handlungsmöglichkeiten und nachhaltig verträglichen Handlungsoptionen immer mehr zu einer globalen Gefährdung wird. (Dies gilt heute besonders im Blick auf den Besitz von Massenvernichtungswaffen in der Hand von Terroristen oder terroristischer Regime.)


In philosophischer und gesellschaftstheoretischer Perspektive wurde diese Thematik schon vor zwei Jahrzehnten u.a. von Alfred Anders, Erich Fromm, Ivan Illich, Hans Jonas behandelt. Auch nach Ende des Kalten Krieges hat sie an Dringlichkeit nicht verloren.


8. Die Zeit drängt auf eine zukunftsfähige Balance zwischen den begrenzten Ressourcen des Globus und ihrer fairen, ‚gerechten’ Aneignung. Neben Regierungen und wirtschaftlichen Unternehmen kommen den neuen Akteuren der Zivilgesellschaft (NGO’s), ihren Leitbildern und Netzwerken besondere Bedeutung zu.


Neuere Studien (Jared Diamond, Wolfgang Sachs u.a.) zeichnen ein erschreckendes Bild globaler Zukunftsszenarien, in denen die Fragen von transformativen Lernprozessen und individueller wie kollektiver Bewusstseinsentwicklung allerdings wiederum nur am Rande behandelt werden. Verweis auf UN und UNESCO: Dekade für nachhaltige Entwicklung (muss ergänzt werden).


Welche dieser Themen und Fragestellungen können in welcher Mischung und Form an künftige Sozialwissenschaftler, Pädagogen und Psychologen vermittelt werden?



Quelle: http://www.heinrichdauber.de/uploads/media/Integrale_Bildung.pdf


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